Lesekreis Türkische Literatur - Murat Uyurkulak: Zorn

Haus der Patriotischen Gesellschaft

Trostbrücke 4, 2. Stock
Gesellschaftsraum
20457 Hamburg
Deutschland

Einführung und Moderation: Detlef Rönfeldt (Sprecher des Lesekreises)

Diesmal wollen wir uns mit dem Roman "Zorn" beschäftigen, dem Debütroman des 1972 in Aydin an der Küste der Ägäis geborenen Autors Murat Uyurkulak, der 2002 unter dem kurdischen Titel "Tol" im türkischen Original und 2008 im Rahmen der Türkischen Bibliothek des Unionsverlags auf Deutsch erschienen ist.

"Ein alter Kämpfer, mit Beinamen 'der Dichter', und ein junger Enthusiast reisen zufällig im selben Zugabteil nach Diyarbakir, trinken, rauchen Hasch, reden, bis 'der Dichter' auf einmal dem jungen Mann ein Konvolut mit Manuskripten in die Hand drückt und sagt: 'Los, lies!' Die lose miteinander verwobenen Erzählungen, Beschreibungen und Gespräche handeln, wie der junge Mann bald feststellt, von seinem Vater, den er nie kennengelernt hat." So fasst der Verlag den Inhalt des Romans im Klappentext zusammen. "Gleichzeitig", heißt es ergänzend, "wird damit die Geschichte einer ganzen Generation erzählt, die die Hoffnung auf eine Revolution nie aufgegeben hat."

Murat Uyurkulak, der auch für die linke Tageszeitung BirGün als Journalist arbeitet, ist mit Erscheinen von "Zorn" schlagartig berühmt geworden und gilt seither als eine der wichtigsten Stimmen der türkischen Gegenwartsliteratur. Nicht nur in der Türkei wurde das Buch gefeiert, auch bei uns waren die Reaktionen, als "Zorn" in der deutschen Übersetzung von Gerhard Meier erschien, geradezu enthusiastisch: "Ein Ereignis", "hochpolitisch und brisant", hieß es zum Beispiel, "ein Stück große Literatur", "vielschichtig", "unverblümt", "ein rasant erzähltes Leseereignis mit beeindruckender Sprachkraft". Und Herbert Gebert schrieb in der Nürnberger Zeitung über Murat Uyurkulak: "In seinem orientalischen Schelmenroman, der die westeuropäische Rationalität sprengt und der Fantasie alle Grenzen öffnet, bleiben keine menschlichen Schwächen oder Laster ausgeklammert. Das Epos über die inoffizielle, von der staatlichen Zensur verdrängte Geschichte der modernen Türkei [...] erinnert an einen Erzählteppich aus anatolischen Märchen, deren Handlungslinien ineinanderfließen und deren Handlungsträger sich unüberschaubar vermehren."

Der Roman ist keine ganz leichte, aber für alle, die sich für die jüngere Geschichte der Türkei und die Vorgeschichte des Militärputsches von 1980 interessieren, überaus lohnende und faszinierende Lektüre. Uyurkulak schreibt sich in seinem Erstling die Wut von der Seele - auf den türkischen Staat und auf die eigenen Genossen, die er nicht heroisiert, sondern auch in ihrem Scheitern und ihrer Verlorenheit porträtiert. "Wie eindringlich er den Repressionsapparat auf der einen Seite und Ohnmacht und Macht auf der anderen Seite schildert", das empfand Tobias Voelker von der Universität Hamburg in seiner taz-Kritik seinerzeit als besondere Qualität des Romans.

Und Jens Peter Laut schrieb im sehr empfehlenswerten Nachwort zur deutschen Übersetzung: "Das in 'Zorn' beschriebene Leben der Revolutionäre und ihres Umfelds wird von Uyurkulak mit großer Nüchternheit und in einer Sprache, die äußerst direkt, bisweilen vulgär ist, als eine Mischung aus eher diffusen politischen Idealen, persönlichen Problemen, Alkoholkonsum, Prügeleien und mehr oder weniger befriedigenden sexuellen Beziehungen beschrieben: ein Leben oft im Untergrund oder auf der Flucht und stets in gefährlicher Abgrenzung vom verhassten türkischen Staat – eigentlich Tristesse pur, wenn es nicht auch Komik, Solidarität und Hoffnung gäbe."

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Wer mehr lesen möchte: Auch Murat Uyurkulaks zweiter Roman "Glut" ist (in der Übersetzung von Sabine Adatepe) auf Deutsch erschienen.

 

Die weiteren Romane auf unserer Leseliste

Zülfü Livaneli: Unruhe (21. Mai)
Elif Shafak: Unerhörte Stimmen (18. Juni)
Orhan Pamuk: Cevdet und seine Söhne (17. September)
Ahmet Ümit: Patasana (15. Oktober)
Nedim Gürsel: Der Sohn des Hauptmanns (19. November)
Mario Levi: Istanbul war ein Märchen (17. Dezember)