Antisemitismus und neue Wirtschaftsweise

Hamburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Haus der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg
© Oliver Heinemann

Mit einem lebhaften und anschaulichen Vortrag faszinierte Jürgen Bönig am 30. Mai 2023 die etwa 40 Teilnehmer an der Veranstaltung trotz des etwas sperrigen Titels mit seiner Darstellung und Interpretation der sog. Anti-Juden-Emeuten 1819, 1830 und 1835 in Hamburg. Diese wurden getragen vor allem aus dem zünftig organisierten Handwerkermilieu, dessen bisherige Wirtschaftsform der Konkurrenz von Fabrikwaren aus dem Ausland, vor allem aus England immer weniger standhalten konnte. Man stand also vor einem Transformationsprozess mit unklarem Ausgang und suchte die Ursache für den eigenen Untergang bei einer ethnisch und religiös definierten Personengruppe, die man dafür verantwortlich machte. Erst allmählich sei vor allem in der beginnenden Arbeiterbewegung die Erkenntnis gereift, dass nicht die Juden als ethnische Gruppe für die Transformation verantwortlich seien, sondern die Strukturen des kapitalistisch veränderten Wirtschaftsprozesses.

Jürgen Bönig erklärte den etwas verblüfften Teilnehmern, dass die frühe, sich kommunistisch verstehende Arbeiterbewegung ihr organisatorisches Dach in Hamburg zeitweise in der Patriotischen Gesellschaft gesucht und gefunden hatte. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 und des hamburgischen Verfassungsprozesses 1849 kam es erst 1860 in Hamburg zur rechtlichen Gleichstellung der Juden.

In der Veranstaltung wurden auch Analogien zur aktuellen Transformationssituation diskutiert: In der aktuellen krisenhaften Verunsicherung kämen erneut antisemitische Parolen und Motive an die Oberfläche, mit denen auf die Verunsicherung reagiert würde. Erörtert wurde, ob man diesen wiederaufflammenden Antisemitismus nicht neben der direkten Kritik auch durch Erörterung solcher strukturellen Ursachen bekämpfen müsse.

Dr. Willfried Maier