Synagoge als Zentrum jüdischer Religiosität und Kultur in Hamburg
Aufruf der Patriotischen Gesellschaft zur Diskussion und Abwägung von Gestaltungsmöglichkeiten
6. Januar 2021
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Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hat einmütig die Wiedererrichtung einer Synagoge am Joseph-Carlebach-Platz beschlossen. Der Bundestag und die Bürgerschaft haben dafür Finanzmittel zugesagt. Von der jüdischen Gemeinde wird eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse naturgemäß noch nicht vorliegen.
Die jüdische Gemeinde wirbt für den Wiederaufbau der ehemaligen Bornplatzsynagoge. Eine Gruppe von Persönlichkeiten, die sich seit langem für die Entwicklung jüdischen Lebens in Hamburg engagieren, begrüßt ebenfalls die Errichtung eines Gebäudes, in dem sich jüdisches Leben in Hamburg sichtbar entfalten kann. Sie wendet sich aber gegen eine historisierende Rekonstruktion der ehemaligen Bornplatzsynagoge.
Die Patriotische Gesellschaft von 1765 sieht ein gemeinsames Anliegen aller Akteure und ruft zu einer sorgfältigen Diskussion und Abwägung der Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten auf, in der die für das jüdische Leben in Hamburg beste Lösung gemeinsam erarbeitet wird. Um diesem Diskurs eine Plattform zu geben, öffnet die Patriotische Gesellschaft ihre Website für sachdienliche Beiträge. Bitte senden Sie Ihre Beiträge an info@patriotische-gesellschaft.de
Wir machen zunächst den kürzlich veröffentlichten Diskussionsaufruf zugänglich, an dem auch unsere langjährige 1. Vorsitzende Ingrid Nümann-Seidewinkel beteiligt ist. Ergebnisse der Machbarkeitsstudie und neue Beiträge zu dieser Diskussion wird die Patriotische Gesellschaft ebenfalls zugänglich machen.
Den Diskussionsaufruf finden Sie unten auf dieser Seite. Weitere Beiträge und Reaktionen auf den Aufruf veröffentlichen wir darüber, sodass der neueste Beitrag stets oben auf der Seite zu finden ist. Jeder Beitrag ist datiert.
Diskussionsbeiträge
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Erinnerungskultur im städtischen Raum
Kontexte und Hintergründe der Debatte um den Wiederaufbau derHamburger Bornplatzsynagoge - Bornplatzsynagoge oder Bodenmosaik: ein kunstgeschichtliches Dilemma?
- Die Bornplatzsynagoge in Hamburg: Leerstelle oder Wiederaufbau?
- Ja zu Synagoge auf dem Bornplatz – aber nicht in Kaiserreich-Architektur
- Ein Generationenkonflikt um Emanzipation und Deutungshoheit
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Was ist das gemeinsame Anliegen?
Für ein Joseph-Carlebach-Forum für jüdisches Leben in Hamburg - Zur Diskussion um die Bornplatzsynagoge
- Protest aus Israel
- Die Diskussion über Bornplatzsynagoge und Bodenmosaik in der Presse. Ausgewählte Beiträge
- Die große Bornplatzsynagoge
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Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge.
Bürgerschafts-Drucksache vom 28. Januar 2020 - Zuschriften von Hamburger jüdischen Verfolgten der ersten und zweiten Generation aus den USA und Israel
- Zum Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge
- Wiederaufbau der Großen Synagoge am Bornplatz – Ein Kommentar zur Diskussion
- Stellungnahme zur Bornplatzplanung
Erinnerungskultur im städtischen Raum
Kontexte und Hintergründe der Debatte um den Wiederaufbau derHamburger Bornplatzsynagoge
24. Juni 2021
von Dr. Dirk Brietzke,
Historiker an der Universität Hamburg (Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte), stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Hamburgische Geschichte
Städtische Erinnerungskultur wird regelmäßig zum Gegenstand kontroverser öffentlicher Debatten. Dies gilt insbesondere für Initiativen, die mit der Erhaltung, der Rekonstruktion oder dem Wiederaufbau historischer Gebäude verbunden sind. In den letzten Jahren und Jahrzehnten führten zum Beispiel die Pläne für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, des Berliner Stadtschlosses, der Garnisonkirche in Potsdamoder der Synagoge Fraenkelufer im Berliner Stadtteil Kreuzberg zu intensiven Diskussionen. Wenn sich mehrere Erinnerungsschichten überlagern, wenn Architektur als symbolische Repräsentation wahrgenommen wird und wenn sie mit Gewalterfahrungen und historischen Verbrechen wie dem Holocaust oder dem Kolonialismus verbunden ist, nehmen solche Diskussionen einen komplexen und kontroversen Charakter an. Eine Vielzahl unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure beteiligt sich an solchen Debatten. Dieses breite Spektrum ist Ausdruck einer pluralistischen Debattenkultur, die vor allem auf eines hinweist: eine intakte Öffentlichkeit, in der man miteinander ins Gespräch kommt, um im Austausch unterschiedlicher Positionen und Perspektiven die Möglichkeitenkonstruktiver, die Vielfalt städtischer Lebenswelten respektierender Lösungen auszuloten. [...]
Den vollständigen Text von Dr. Dirk Brietzke finden Sie hier.
von Prof. Dr. Galit Noga-Banai
Prof. Dr. Galit Noga-Banai, Kunsthistorikerin und Direktorin des Art History Departments an der Hebräischen Universität in Jerusalem, schickte uns den folgenden Artikel zur kunstgeschichtlichen Bedeutung des Synagogenmonuments von Margrit Kahl.
Die Frage des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge im Hamburger Grindelviertel wurde in den vergangenen Monaten regional und überregional ausführlich debattiert und hat auch in Israel ein Echo gefunden. Während die Diskussion in Deutschland vor allem um die Frage kreiste, ob eine Replik der alten Synagoge oder ein neuentworfener Bau entstehen soll, ging es in Israel darum, inwiefern man in eine Debatte eingreifen solle und dürfe, die zunächst einmal eine lokale deutsche Angelegenheit ist. Für mich steht im Folgenden hingegen das Kunstwerk im Vordergrund, das bei einer Wiedererrichtung der Synagoge zerstört würde. Ist es aus der Perspektive einer Kunsthistorikerin, die zugleich auch Israelin ist, legitim, sich damit in die Diskussion einzumischen? In ihrem Bestreben, den Wunsch der jüdischen Gemeinschaft Hamburgs nach einer neuen Synagoge zu unterstützen und ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen, verfolgt die Stadt zweifellos die besten Absichten. Es fragt sich jedoch, ob es zu diesem Zweck tatsächlich unumgänglich ist, der Position Hamburgs in der Geschichte der deutschen Nachkriegskunst und der künstlerischen Postmoderne einen nachhaltigen Schaden zuzufügen. Vermutlich haben sowohl die Hamburger Politik als auch die Köpfe der Hamburger jüdischen Gemeinde inzwischen genug vom Meinungsstreit und möchten, dass die Arbeit an der neuen Synagoge so schnell wie möglich beginnt. Dennoch, so scheint es mir, sollten sich die Hamburger Bürger noch einmal vor Augen führen, warum Margrit Kahls Synagogenmonument für die Stadt kunsthistorisch ähnlich bedeutsam ist wie die Barlach-Stele am Rathausmarkt oder das 76er-Denkmal zwischen dem Stephansplatz und dem Bahnhof Dammtor. Letzteres war in den 1970er Jahren ebenfalls Gegenstand einer öffentlichen Debatte, die mit der Entscheidung endete, es zu erhalten – ergänzt um ein Gegendenkmal des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka. Die Hamburger Denkmale und Gedenkorte sind Meilensteine der deutschen Kunstgeschichte, und ich kann als Nicht-Hamburgerin nur an die Hamburger Bürger und Entscheidungsträger appellieren, sie als solche wertzuschätzen. [...]
Den vollständigen Diskussionsbeitrag von Prof. Dr. Galit Noga-Banai (PDF) können Sie können hier herunterladen.
Matthias Fischer und Dr. Andreas Brämer im Gespräch
Matthias Fischer und Dr. Andreas Brämer sprechen in der aktuellen Folge des Podcasts "Bleicherfunk" über die Geschichte der Bornplatzsynagoge und das Wiederaufbauprojekt. "Bleicherfunk" ist der Podcast zu Politik und Zeitgeschehen von Bleicherhaus e.V.
Sie können das Gespräch hier anhören.
von Ruben Herzberg
Neubau sollte Zuhause für alle jüdischen Glaubensrichtungen werden – und ein Ort der Begegnung, der in die Stadtgesellschaft ausstrahlt. Bodenmosaik fantasievoll in Pläne integrieren
Die Debatte um einen originalgetreuen Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist über weite Strecken eine Phantomdebatte. Der plakative Slogan der Hamburger Initiative für den Neubau "Nein zu Antisemitismus – Ja zur Bornplatzsynagoge" darf nicht so missverstanden werden, dass jeder Vorschlag, der einen originalgetreuen Wiederaufbau infrage stellt, als "antisemitisch" abgestempelt wird.
Aber bei aller Debattierfreude der an jüdischen Fragen interessierten Menschen innerhalb und außerhalb der Stadtgesellschaft sollte letztlich entscheidend sein, welche Bedürfnisse die heutigen Hamburger Jüdinnen und Juden haben, deren Vorgänger, bevor sie ermordet wurden, die alte Bornplatzsynagoge nach ihrer Schändung in der Pogromnacht vom November 1938 auf eigene Kosten abreißen lassen mussten. Wenn die heutigen Juden Hamburgs sich für eine Rekonstruktion entscheiden sollten, ist das ihr gutes Recht.
Die Idee eines originalgetreuen Wiederaufbaus habe ich selbst allerdings nie vertreten. Im September 2010 sprach ich bei der Feier zum 50. Jahrestag der Eröffnung der Synagoge Hohe Weide vom leeren Platz, auf dem einst die Bornplatzsynagoge stand. Dort solle sich ein Traum erfüllen – eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum, einem Saal für Veranstaltungen und einem Ort der Erinnerung: "Wir wünschen uns die Rückkehr an unseren alten Ort, denn der leere Platz ist eine Wunde in unserem Leben." Die Hamburgische Bürgerschaft hat mich mit diesem Satz in ihrem einstimmigen Beschluss vom 12. Februar 2020 zitiert. Einen Bau in der Architektur des Kaiserreiches heute zu errichten, als hätte es die Schoa nicht gegeben, hielt und halte ich für verfehlt. [...]
Den vollständigen Diskussionsbeitrag von Ruben Herzberg (PDF) können Sie können hier herunterladen.
von Dr. Andrea Zielinski
• Wem gehört der 'Bornplatz', wer darf befinden?
• Müssen jüngere Generationen das Andenken der Älteren bewahren und fortschreiben – Juden, wie Nichtjuden?
• Ist dieses ein Clash zwischen akademischem Wissen und religiös-jüdischer Rückinterpretation?
Dass Juden in Hamburg einen Synagogengroßbau für ein Zeichen des Selbstbewusstseins halten und dieses als kraftvolles Schwert Judenfeindschaft entgegen zu treten sehen, wird sicherlich als ein Akt der Emanzipation in die Geschichtsbücher eingehen. Emanzipation gegen die ihnen zugedachte und auch praktizierte Opferrolle zum Beispiel.
Dass revitalisierte liberale und reformerische jüdische Strömungen in Hamburg darüber politisch ins Abseits gelangen und bedeutungslos werden, ebenso. Dieses drückt sich zum Beispiel in der architektonischen Planung aus, aber auch in der gewählten Verhandlungsstruktur der Hansestadt Hamburg.
• Welches 'Judenbild' herrscht im politischen Hamburg vor? (Anregung einer stillen Selbstbefragung)
Was ist das gemeinsame Anliegen?
Für ein Joseph-Carlebach-Forum für jüdisches Leben in Hamburg
20. März 2021
von Dr. Dr. h.c. Jürgen Lüthje
Die Fronten scheinen festgefahren: Die Wiedererrichtung der ehemaligen Bornplatzsynagoge fordern Vertreter der Jüdischen Gemeinde und die große Zahl von Unterstützern eines im Internet verbreiteten Aufrufs. Dagegen wendet sich eine Initiative namhafter Persönlichkeiten, die in der Rekonstruktion der 1938 von Nationalsozialisten geschändeten und 1939 abgerissenen Synagoge ein falsches Zeichen sieht, weil dadurch die Erinnerung an die Pogrome verdrängt und ein mahnendes Bodenmosaik zerstört würde. Gibt es in der Entscheidung zwischen diesen Alternativen nur ja oder nein, richtig oder falsch? Oder eint die zunächst gegensätzlichen Positionen nicht eigentlich ein gemeinsames Anliegen: jüdischem Leben in Hamburg Raum zu geben und es in der Stadt sichtbar zu machen?
Wenn es dieses gemeinsame Anliegen gibt, kann ein suchendes, nicht polarisierendes Gespräch darüber beginnen, welche Art von Gebäude und Räumen dem Leben der Juden in Hamburg fehlt und am besten dienen kann. Diese Frage sollten vorrangig Jüdinnen und Juden beantworten, sie sollten ihre Antwort aber auch allen anderen gegenüber begründen, die sich ein möglichst vielfältiges jüdisches Leben in Hamburg wünschen. [...]
Sie können hier den vollständigen Diskussionsbeitrag von Dr. Dr. h.c. Jürgen Lüthje (PDF) herunterladen.
von Axel Spellenberg
Ihrem Aufruf zu einer sachdienlichen Diskussion zum Thema Bornplatz-Synagoge möchte ich gerne nachkommen. Als Künstler und Architekt sind mir 3 Aspekte wichtig:
1. Die unter Umständen erfolgende Beseitigung des Kunstwerks der deutschen Konzept- und Prozesskünstlerin Margrit Kahl (1942-2009) von 1988 kann ich nicht akzeptieren. Nicht nur aus Gründen des Beseitigens der Sinngebung des Werkes als Gedenkort und "Synagogenmonument", sondern zudem des Auslöschens von zeitgenössischer KUNST und eines künstlerischen Werkes, das 1986 von der Freien und Hansestadt Hamburg in Auftrag gegeben wurde. Als Künstler der ehemaligen Künstlerkolonie Worpswede bin ich da überaus sensibel, zumal mir hier schon einmal die Beseitigung eines Kunstwerks angedroht wurde. Man kann es aus meiner Sicht nicht glaubwürdig begründen, ein zeitgenössisches Werk der Kunst – das Bodenmosaik von 1988 – durch ein nicht mehr existierendes Werk der Architektur aus der Kaiserzeit zu ersetzen, zumal es sich um ein Kunstwerk zum 50. Jahrestag der Zerstörung der Synagoge handelt. [...]
Sie können hier den vollständigen Diskussionsbeitrag von Axel Spellenberg (PDF) herunterladen.
von Prof. Dr. Ursula Büttner
Die Diskussion um den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge findet inzwischen auch in Israel statt. 45 israelische Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik, darunter viele mit familiären Wurzeln in Hamburg, bringen jetzt in einem Brief an den Hamburger Senat, die Jüdische Gemeinde Hamburg und die deutsche Botschafterin in Israel (PDF) ihren Widerspruch gegen einen äußerlich ähnlichen, historisierenden Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge und gegen die Zerstörung des Bodendenkmals von Margrit Kahl zum Ausdruck. Zu den Unterzeichnenden gehört u. a. der ehemalige Botschafter in der Bundesrepublik, Avi Primor. Schon vorher war der Artikel von Galit Noga-Banai: "Sollen wir die Krone Gottes rekonstruieren?" (FAZ vom 26. Januar 2021) auch in der hebräischen Ausgabe und am 20. Februar in der englischsprachigen Ausgabe der Tageszeitung HaAretz erschienen.
Hier können Sie die deutsche Übersetzung des Protestbriefs (PDF) herunterladen.
Die Diskussion über Bornplatzsynagoge und Bodenmosaik in der Presse. Ausgewählte Beiträge
16. Februar 2021
von Prof. Dr. Ursula Büttner
Nachdem in der Radiosendung "Schabbat schalom" von NDR info am 18. Dezember 2020 die erste Meldung über die Forderung von einigen in Wissenschaft und Kultur tätigen Persönlichkeiten nach einem breiten und öffentlichen Diskurs über das Projekt: Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge (Stellungnahme zur Bornplatzplanung (PDF)) erschienen war, begann die Diskussion mit Artikeln in der Hamburger Presse und zu Beginn des neuen Jahres mit kurzen Filmbeiträgen in den Regionalteilen von NDR 3 und Sat 1. Am 7. Januar 2021 ging Heike Linde-Lembke erstmals in der Jüdischen Allgemeinen ausdrücklich auf die genannte "Stellungnahme" der Kritiker*innen ein.
Den Durchbruch in der allgemeinen überregionalen Presse brachte am 14. Januar 2021 ein temperamentvoller Artikel von Moshe Zimmermann in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel". Der international bekannte emeritierte Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem kritisiert darin scharf die Verbindung des Plädoyers für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge mit dem Appell zur Bekämpfung des Antisemitismus. Aus der Perspektive des Zeitzeugen, Historikers und politisch engagierten Menschen wendet er sich gegen die historische Rekonstruktion der Synagoge und votiert mit Nachdruck für den Erhalt des 1988 eingeweihten, in enger Zusammenarbeit mit ehemaligen Hamburgern und Hamburgerinnen in Israel entstandenen Bodendenkmals von Margrit Kahl. Zimmermann resümiert: "NS-Verbrechen unsichtbar machen, Zerstörung eines Erinnerungsorts, das alles ist grundfalsch und keineswegs ein Rezept gegen Antisemitismus."
Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2021 erschienen in der überregionalen Presse mehrere wichtige Artikel, die sich mit dem Hamburger Disput über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge beschäftigten.
Am 26. Januar 2021 veröffentlichte Galit Noga-Banai, Kunsthistorikerin und Direktorin des History Departments an der Hebräischen Universität in Jerusalem, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ihren Artikel: "Sollen wir die Krone Gottes rekonstruieren?". Auch sie verurteilt eingangs die Verbindung des Kampfs gegen den Antisemitismus mit der Werbung für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge und kommt dann zu ihrem zentralen Anliegen: Sie arbeitet die Bedeutung des Bodendenkmals von Margrit Kahl heraus und legt dar, welch ein verhängnisvoller Fehler seine Zerstörung oder Überbauung durch eine rekonstruierte Synagoge wäre. Dabei kann sie auf das Beispiel der im Unabhängigkeitskrieg 1948 zerstörten Hurva-Synagoge in Jerusalem verweisen, deren Rest-Bogen ein Wahrzeichen war, während die 2010 wiederaufgebaute ottomanische Synagoge diesen Wert verlor. Galit Noga-Banai würdigt das Bodenmosaik auch als Zentrum einer engagierten Gedenkkultur, als Zielpunkt eines Netzes von Hunderten von Stolpersteinen. Ihr Artikel erschien am 30./ 31. Januar auch in hebräischer Sprache in HaAretz. Als Reaktion darauf meldeten sich Ofra Givon, eine Enkelin des ersten Oberkantors der Bornplatzsynagoge, und Shulamit Cohn-Yitgal, eine Großnichte von Rabbiner Joseph Carlebach, zu Wort und brachten ihr Entsetzen über die mögliche Zerstörung des Bodendenkmals zum Ausdruck. (Zuschriften von Hamburger jüdischen Verfolgten der ersten und zweiten Generation aus den USA und Israel (PDF))
Am 27. Januar folgte in der Frankfurter Rundschau ein weiterer wichtiger Artikel. Aleida Assmann, die zahlreiche Werke zur Erinnerungskultur veröffentlicht hat und 2018 zusammen mit ihrem Mann mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, betont in ihrem Beitrag: "Schoa: Wer erbt die Autorität der Überlebenden?" die Bedeutung, die nach dem Tod der letzten Zeitzeug*innen den Gedächtnisorten zukommen wird, die von den Verbrechen zeugen. Auch sie wendet sich gegen die Verknüpfung der Wiederaufbau-Frage mit dem Thema Antisemitismus und unterstreicht die 2015 in Auschwitz bekräftigte Maxime, dass bei den Formen des Gedenkens der Wille der Überlebenden maßgebend sein muss.
Auf der Internetseite der Tagesschau veröffentlichte Natalia Frumkina am gleichen Tag einen kenntnisreichen und differenzierten Bericht über die Hamburger Debatte: "Einfach normal leben – aber wie? Leitartikel". Sie stellt die Argumente beider Seiten sorgfältig und ausgewogen dar, betont aber auch die Gemeinsamkeit in dem Ziel, ein starkes, vielfältiges und lebendiges Judentum in der Stadt sichtbar zu machen und zu fördern.
Eine Woche später, am 4. Februar 2021, publizierte die Jüdische Allgemeine unter der Überschrift: "Hamburger Debatte. Wie die jüdische Gemeinschaft den Wiederaufbau diskutiert" eine Umfrage von Eugen El unter bekannten Hamburger Juden und Jüdinnen zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge.
Die Antworten reichten von deutlicher Ablehnung bis zu klarer Zustimmung mit vielfältigen Zwischenpositionen.
Die taz Nord widmete dem Thema: Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge am 6. Februar einen Sonderteil, in dem ein weit ausgreifender, grundsätzlicher Artikel von Ulrich Hentschel zu dem gesamten Fragenkomplex erschien. In ihm weist Hentschel auch ein auf Versäumnis hin, das sonst bisher gar nicht oder nur am Rande zur Sprache gekommen ist, dass der Gedenkort mit dem Bodenmosaik von Margrit Kahl nicht nur unbedingt erhalten, sondern auch weiterentwickelt werden muss, z. B. durch die Einrichtung eines Dokumentationszentrums zur Geschichte der Synagoge, des Joseph-Carlebach-Platzes und des jüdischen Grindelviertels im ehemaligen Bunker. Mehr dazu hier.
von Michael K. Nathan
Auf eine Umfrage der Jüdischen Allgemeinen unter bekannten Hamburger Juden und Jüdinnen nach ihrer Meinung zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge hat Michael K. Nathan mit einem Brief geantwortet, der nur unvollständig abgedruckt wurde. Er hat ihn deshalb als Diskussionsbeitrag für diese Webseite zur Verfügung gestellt.
Soll sie nun neu aufgebaut werden oder nicht? Ich meine: Auf keinen Fall!
Es gibt so viele Gründe dagegen, dass dieser Rahmen dafür nicht ausreicht. Ich will mich daher auf die wesentlich Argumente konzentrieren:
1. Die große Synagoge hatte Platz für ca. 4.000 Betende. Die heutige Gemeinde hat ca. 3.500 Mitglieder, von denen nur wenige Dutzend gelegentlich in die bestehende Synagoge gehen. Da würde der geplante Neubau unsinnig und protzig, wie aus der Zeit gefallen wirken.
2. Ein Neubau im alten Stil könnte die Geschichte der Vernichtung der alten Synagoge vergessen machen. Das kann nicht im Sinne der Stadt Hamburg und der Jüdischen Gemeinde sein.
3. Das Bodenmosaik von Margrit Kahl, das auf bescheidene Weise die Architektur der alten Synagoge aufzeigt, ist ein sehr wirkungsvolles Gedenken an die durch die Nationalsozialisten zerstörte Synagoge. Dieses Kunstwerk sollte auf jeden Fall erhalten bleiben.
4. Wichtig wäre allerdings, dass die Kulturbehörde und die jüdische Gemeinde sich um die Restaurierung und um die dauerhafte Pflege des Kunstwerks von Margrit Kahl kümmern. Und wie wäre es, wenn ein stadtbekannterKünstler an die Wand des Hochbunkers, der an dieses Bodenmosaik grenzt, von der Kulturbehörde mit einer Bemalung der Bunkerfassade mit einem Bild der alten Sysagoge beauftragt würde?
5. Wenn die Gemeinde auf jeden Fall im Grindelviertel eine neue/alte Synagoge haben will, könnte man den NDR motivieren, das ehemalige Synagogengebäude in der Oberstraße an die Gemeinde zurückzugeben. Mit dem Budget der Millionen, die für den Neubau gedacht sind, könnte man dieses Gebäude wieder zur Synaoge umbauen UND den NDR entschädigen.
Sie können hier die Stellungnahme von Michael K. Nathan (PDF) herunterladen.
[...] Eine Machbarkeitsstudie – finanziert durch eine Zuwendung des Bundes in Höhe von 600 000 Euro – soll Antworten auf die wichtigsten Fragen liefern und so eine zeitnahe Umsetzung ermöglichen. Die offenen Fragen betreffen dabei unter anderem die architektonische Gestaltung des Neubaus, die räumliche Situation am Josef-Carlebach-Platz und dem daran angrenzenden Allende-Platz – inklusive des sich dort befindlichen denkmalgeschützten ehemaligen Luftschutzbunkers – wie auch die Frage der Nachnutzung der Synagoge in der Hohen Weide. Der Hamburgischen Bürgerschaft ist bewusst, dass für die JGHH die Wiedererrichtung der Synagoge Priorität genießt, weil dies das Zeichen sichtbaren und lebendigen jüdischen Lebens in Hamburg heute ist. Gleichzeitig ist der JGHH bewusst, dass für die Hamburgische Bürgerschaft ein würdevoller und angemessener Umgang mit dem Bodenmosaik von Margrit Kahl, das am Joseph-Carlebach-Platz an die Zerstörung der Bornplatzsynagoge und die damit verbundene Entrechtung und Ermordung Hamburger Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit erinnert, von einer großen erinnerungskulturellen Bedeutung ist. Im weiteren Prozess sollen Wege gefunden werden, beides zu gewährleisten. [...]
Sie können hier die Bürgerschafts-Drucksache 21/19916 zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge (PDF) herunterladen.
Zuschriften von Hamburger jüdischen Verfolgten der ersten und zweiten Generation aus den USA und Israel
1. Februar 2021
Auszüge aus Briefen von Erika Estis und Ofra Givon
Die Pläne zur historischen Rekonstruktion der Bornplatzsynagoge beschäftigen auch die wenigen Überlebenden, die noch Anteil nehmen können, sehr stark. Ebenso werden sie unter ihren Kindern diskutiert. Wie Esther Bejerano und Peggy Parnaß in ihrem Interview mit dem Auschwitz-Komitee erheben alle in den Zuschriften, die uns erreichen, starke Einwände. Die Briefe sind von Trauer und Empörung erfüllt. Sie zeigen, wie sehr die Schreiberinnen noch mit Hamburg und ihrer alten Gemeinde verbunden sind. Der Schmerz über das Verlorene beeinflusst ihr Urteil über die heutige Gemeinde, das vor diesem Hintergrund zu verstehen ist. [...]
Sie können hier das vollständige Dokument "Zuschriften von Hamburger jüdischen Verfolgten der ersten und zweiten Generation aus den USA und Israel" (PDF) herunterladen.
von Prof. George Y. Kohler,
Director, The Joseph Carlebach Institute, Bar-Ilan University, Ramat-Gan/Israel
Nachdem ich mich vielseitig kundig gemacht habe, möchte ich gern meine Meinung zum Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge darstellen. Nach einigem Abwägen denke ich, dass ich das Projekt voll unterstützen kann.
Zuerst einmal ist natürlich echtes jüdisches Leben, zumal in Deutschland, immer besser als das eindrucksvollste Denkmal. Lebendiges Judentum ist sozusagen das beste Denkmal für den Sieg des Lebens über die Mordlust der Nazis. Ja, es ist ein Revidieren der Geschichte, aber die Revision ist selbst auch Teil der deutschen Geschichte, nichts wird dadurch ungeschehen gemacht – sondern es wird im besten Sinne wieder gut gemacht. Ich sehe es als einen Akt später Gerechtigkeit, denn so sehr das Erinnern für die Deutschen wichtig sein mag, so sehr brauchen die Juden noch lange keine äußeren Anstöße, um das Geschehene nicht zu vergessen. Was sie vielmehr brauchen, ist ein Ort in der Mitte der Stadt, der ihnen zeigt, dass sie wieder ein Teil dieser Stadt sind, wie sie es so lange waren. Ich mochte die jetzige Gestaltung des Platzes auch (also nicht unbedingt den Bunker), aber was ist schon ein Denkmal gegen ein aktives jüdisches Bethaus? Was mich am meisten überzeugt hat, war das Argument, dass es sich hier vor allem um die Rückgabe eines gestohlenen Ortes handelt, und damit tatsächlich um eine Reparation, nicht um das Leugnen des Verbrechens. Wir erinnern uns ja nicht um des Erinnerns wegen, sondern weil wir aus der Geschichte lernen wollen. [...]
Sie können hier die vollständige Stellungnahme von Prof. Dr. George Kohler (PDF) herunterladen.
von Dr. Andreas Brämer,
kommissarischer Leiter des Institus für die Geschichte der deutschen Juden
In den vergangenen Wochen haben sich wiederholt kritische Stimmen zu Wort gemeldet und sich gegen die – von Politik, Jüdischer Gemeinde und Stadtgesellschaft gleichermaßen unterstützte – Idee ausgesprochen, die 1906 im neoromanischen Stil errichtete Bornplatz-Synagoge am Grindel (Joseph-Carlebach-Platz) wiederaufzubauen. Einig sind sich Gegner und Befürworter einer architektonischen Rekonstruktion des Gotteshauses immerhin in dem enthusiastischen Wunsch und Willen, jüdisches Leben in Hamburg nachhaltig zu stärken. Umso bedauerlicher ist es, dass der mitunter alarmistische Ton der öffentlichen Einlassungen gegen das Projekt kaum zu einer breiten Diskussion anregen mag und augenscheinlich nicht dazu einlädt, in eine gemeinsame Debatte einzusteigen. [...]
Sie können hier den vollständigen Kommentar von Dr. Andreas Brämer (PDF) herunterladen.
Für einen breiten, offenen Diskurs über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge
Wir begrüßen das Engagement der maßgebenden Hamburger Politiker und Politikerinnen, durch große staatliche Anstrengungen die jüdische Gemeinschaft und ein vielfältiges jüdisches Leben in unserer Stadt sichtbar zu stärken. Damit wird ein deutliches Zeichen gegen jeglichen Antisemitismus gesetzt.
Dazu kann auch der Neubau einer Synagoge gehören. Der historisierende Wiederaufbau der Großen Bornplatz-Synagoge scheint uns dagegen aus vielen Gründen nicht der richtige Weg zu sein. Wir halten es deshalb für notwendig, alle interessierten gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen und Personen an einem breiten, offenen und öffentlichen Diskurs zu beteiligen, in dem über das Für und Wider des Projekts, abgewandelte Formen der Verwirklichung oder andere Möglichkeiten nachgedacht wird, den Wunsch der Jüdischen Gemeinden nach einem repräsentativen Zentrum an zentraler Stelle der Stadt zu verwirklichen. [...]
Sie können hier den vollständigen Text der Stellungnahme vom 14. Dezember 2020 zur Bornplatzplanung mit den Erstunterzeichner*innen sowie allen weiteren Personen, die sich der "Stellungnahme zur Bornplatzplanung - Für einen breiten, offenen Diskurs über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge" angeschlossen haben (Stand 22.02.2021) herunterladen (PDF).
Hier die englische Fassung (PDF).
Kontakt
Die Patriotische Gesellschaft von 1765 sieht ein gemeinsames Anliegen aller Akteure und ruft zu einer sorgfältigen Diskussion und Abwägung der Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten auf, in der die für das jüdische Leben in Hamburg beste Lösung gemeinsam erarbeitet wird. Um diesem Diskurs eine Plattform zu geben, öffnet die Patriotische Gesellschaft ihre Website für sachdienliche Beiträge.
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